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Nebel um den Dogenpalast |
1972. Ich war eine über meine Ziele unschlüssige Studentin, die sich in
Venedig verliebt hatte. 1966 hatte ich es zum ersten Mal gesehen, ein
paar Jahre später sah ich es wieder.
Ich war in einem Rausch, konnte morgens nicht mehr schlafen, stand um halb sieben oder sieben auf und stromerte durch die Stadt.
Es war ziemlich dunkel. Ich fotografierte mit großem Korn -- lichtstarkem Film -- mit einer Retina von Agfa. Abzüge machte ich dann in der eigenen Dunkelkammer, wie ich es schon von meinem Vater gelernt hatte, bevor ich zur Schule kam.
Es war Spätherbst und recht kühl. Das Licht war schwach. Die Märkte lagen in künstlicher Beleuchtung.
Das Treiben war ruhig, aber viele waren auf den Märkten unterwegs.
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Wo ist nur der Papierabzug?
Ich müßte ihn noch einmal größer einscannen... |
Niemand wäre auf so einen schwachsinnigen Vorschlag gekommen wie er kürzlich zu hören war: Die Märkte aus der Mitte der Stadt auf eine Insel außerhalb zu verlegen.
Vor einigen hundert Jahren fing man Krabben und Garnelen im eigenen Haus! Man ließ Luken offen, heute noch als Fensterrahmen sichtbar, vor allem um das Neue Ghetto herum, so daß die Flut hereinspülte, und warf Ochsenknochen in die Keller. Meerestiere kamen nun, um die Knochen abzunagen, und wurden ein leichter Fang.
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Salat und Zitrone kommt per Boot an, wahrscheinlich
von St. Erasmo. |
Der Komödienschreiber Goldoni schaut auf diesen Platz; sein Ausdruck ist amüsiert. Sicher hätte er heute auch einigen Grund zu spotten. Über die tausend Geschäfte mit kitschigen Masken vielleicht. Und über die vielen Pizzerien, die ein neapolitanisches Gericht feilbieten, das den Venezianern vermutlich fremd erscheint. Über die Verkäufer von Selfie-Stativen.
Wieviele Kinder gehen noch in Venedigs Kernland zur Schule?
Ein Bild wie dieses wird vermutlich immer seltener.
In dem Maße, wie das Leben unbequemer wird, verlassen die Venezianer ihre Stadt. Sie wandelt sich permanent und Tag für Tag zu einem Venedig-Disneyland, zu einer leeren Maske ihrer selbst. Und jeder Besucher, der dazu beiträgt, indem er sich einen künstlichen Mythos verkaufen läßt, wird im Grunde betrogen.
Die Venezianer müssen die ertragen, von deren Geld sie ja leben; aber sie wollen mit ihnen nicht viel zu tun haben. (
Fortsetzung folgt)